Die Gottesdienst-Stiftung wurde im November 2007 mit einem festlichen Gottesdienst in der Christuskirche in Kassel-Bad Wilhelmshöhe ins Leben gerufen.
Regierungspräsident Lutz Klein überreichte die Stiftungsurkunde während des von OKR Dr. Frithart Scholz und Pfarrerin Inken Richter-Rethwisch gestalteten Gottesdienstes. Die Festpredigt hielt Bischof i.R. Prof. Dr. Eduard Lohse. (Fotos rechts: medio.tv/Schauderna)
Der anschließende Empfang im Haus der Kirche diente dem Austausch aller beteiligten und interessierten Personen. Prof. Dr. Ulrike Wagner-Rau erläuterte in ihrer Rede die Rolle der Stiftung im Kontext der gottesdienstlichen Arbeit in der Landeskirche von Kurhessen-Waldeck.
Prof. Dr. Ulrike Wagner-Rau erläuterte in ihrer Rede die Ziele der Stiftung und Bischof Prof. Dr. Martin Hein führte die Bedeutung von Karl Berhard Ritter vor Augen.
Sehr geehrter Herr Altbischof,
sehr geehrter Herr Bischof,
sehr geehrte Damen und Herren,
Gottesdienst feiern – nicht nur in ihrem Selbstverständnis, sondern auch in den Erwartungen ihrer Mitglieder liegt hier das geistliche Zentrum der Kirche, das christliches Leben und Handeln inspiriert und orientiert.
Gottesdienst:
Das ist die volle Kirche am Weihnachtsabend wie auch das kleine, etwas verlorene Grüppchen an irgendeinem der vielen Sonntage nach Trinitatis;
Das ist, wenn der Anlass danach ist, eine Situation mit hoher öffentlicher Aufmerksamkeit. Und ebenso ist es ein Ereignis, das ganz persönlich bedeutsam ist: für eine Familie, für einen Freundeskreis, für einzelne Menschen in den Wechselfällen ihres Lebens;
Das ist Unterbrechung des Alltags und auch eine eigene Art der Auseinandersetzung mit dem Alltag;
Das ist ein Erleben aus Raum und Musik, aus Worten, Bildern, Gerüchen, Berührungen und Bewegungen, aus Gemeinsamkeit und für sich sein;
Das ist eine Zeit, ausgespannt zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Geburt und Tod, zwischen Verzweiflung und Verheißung;
Das ist Dialog zwischen Gott und den Menschen in den Medien der Tradition und in der Hoffung, dass die Begegnung immer wieder zur lebendigen Erfahrung wird.
In all dem ist Gottesdienst von hohen Erwartungen begleitet. Die Menschen kommen angeregt oder froh aus der Kirche, wenn sie angesprochen und bewegt worden sind. Und sie sind enttäuscht und ärgerlich, wenn es langweilig und öde war, einfach lieblos, hilflos oder schlecht gemacht.
Wie fördert man den Gottesdienst? In erster Linie wohl, indem man die fördert, bildet und unterstützt, die den Gottesdienst gestalten. Ausbildung für den Gottesdienst hat in den vergangenen 20 Jahren einen hohen Stellenwert gewonnen. Neben der theologischen Auseinandersetzung mit Liturgie und Predigt ist man neu aufmerksam geworden für die ästhetische Dimension des gottesdienstlichen Handelns: Es genügt ja nicht, die Texte zu formulieren, um für einen Gottesdienst gut vorbereitet zu sein. Das Gotteslob braucht auch die Schönheit, die die Sinne anspricht, die den ganzen Menschen ins Handeln einbezieht. Es braucht auch die Präsenz der Person.
Es ist gut, dass es die Arbeitsstellen für den Gottesdienst gibt, die in den letzten Jahren in vielen Kirchen entstanden sind. Es ist wunderbar, dass durch die Stiftung zur Förderung des Gottesdienstes – Karl Bernhard Ritter-Stiftung, nun auch in der Kurhessischen Kirche eine solche Arbeitsstelle eröffnet wird.
Die Orientierung dieser Arbeitsstellen hat sich in den letzten Jahren verschoben und erweitert: Zunächst wurde vorrangig an Materialien für den Gottesdienst gearbeitet. Jetzt steht die Beratung vor Ort im Vordergrund: Was ist richtig und wichtig für den Gottesdienst in dieser Gemeinde, in dieser Kirche, mit dieser Pfarrerin, mit diesen Ehrenamtlichen, die sich beteiligen? Eine solche Förderung, die sozusagen in den sonntäglichen »Alltag« eingreift, hier motiviert und unterstützt mit einem Blick, der von außen kommend manchmal mehr und anderes sehen kann, scheint mir zur Zeit besonders wichtig in den pluralen Situationen unserer Kirche.
Motivierend wirken kann auch ein Preis: Im Blick auf die Predigt ist Ähnliches bereits initiiert worden. Für die Gottesdienstgestaltung bisher noch nicht. Hier wird durch die Stiftung ein neuer Impuls gesetzt, der öffentliche Aufmerksamkeit haben und das Nachdenken über die Qualität des Gottesdienstes fördern wird.
Der Name Karl Bernhard Ritters ist der Stiftung beigegeben. Mit diesem Namen ist die Liebe zum Gottesdienst verbunden, die Aufmerksamkeit für den Gottesdienst als ein geistiges und leibliches, geistliches und ästhetisches Geschehen, der Impuls zur Erneuerung in seiner Zeit. All dies möge auch in die Arbeit der neuen Arbeitstelle eingehen, und zwar so, wie es für unsere Zeit angemessen ist. Die produktive Spannung zwischen der Bindung an die Tradition und der Auseinandersetzung mit den Themen und Herausforderungen der Gegenwartskultur ist für die Geschichte des evangelischen Gottesdienstes konstitutiv. In dieser Spannung soll auch die Stiftung ihr Potential entfalten. Möge die Arbeit gesegnet sein.
Der deutsche Theologe und Politiker Karl Bernhard Ritter (1890 –1968) wurde in eine bewegte Zeit hinein geboren. Die Teilnahme am Ersten Weltkrieg und seine Erfahrungen als Mitglied der Verfassungsgebenden Preußischen Landesversammlung und später des Landtages haben ihn für die Umbrüche des frühen 20. Jahrhunderts besonders empfänglich gemacht. Ritter wirkte zunächst in Berlin als Pfarrer, bevor er 1925 nach Marburg wechselte. Während der NS-Zeit gehörte er zur Führung der Bekennenden Kirche in Kurhessen-Waldeck. Ritter wurde 1946 zum Kirchenrat und 1952 dann zum Dekan des Kirchenkreises Marburg-Stadt ernannt. Bekannt ist er als Mitbegründer der Berneuchner Bewegung und der Evangelischen Michaelsbruderschaft, die am 1. Oktober 1931 in Marburg gegründet wurde. Ritter hatte sich der liturgischen Erneuerung verschrieben und wirkte durch die Michaelsbruderschaft in die Kirche hinein. Er engagierte sich auch für die Öffnung der Evangelischen Kirche zur Ökumene. Die Gottesdienst-Stiftung sieht sich mit ihrem Ziel, zeitgemäße und qualitative Gottesdienste zu fördern, in der Tradition von Karl Bernhard Ritter.
Der Vorsitzende der Gottesdienst-Stiftung, Pfarrer Dr. Stephan Goldschmidt, erläutert im Gespräch mit dem »blick in die Kirche«, was mit »anderen« Gottesdiensten gemeint ist: »Nämlich solche, die vom agendarischen Ablauf abweichen. Das können Abendgottesdienste, meditative Gottesdienste, kreative Formen sein. Sie sind als Ergänzung gedacht – nicht auf Kosten der normalen Gottessdienste. Man kann hier mehr experimentieren und andere Akzente setzen. Vor allem werden die Teilnehmer stärker eingebunden.« Die Stiftung und die Arbeitsstelle Gottesdienst sollen dafür »praktikable Anregungen zur Verfügung stellen«. Für die Zukunft setzt Dr. Goldschmidt auf die »starke Vernetzung mit anderen Einrichtungen«.
Interview von Irene Graefe für »blick in die kirche« mit Dr. Stephan Goldschmidt
blick in die kirche: Sie haben im November 2007 die »Stiftung zur Förderung des Gottesdienstes in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck« mitgegründet. Was gilt es zu fördern?
Stephan Goldschmidt: Die Stiftung hat es sich zur Aufgabe gemacht, den gewohnten Sonntagsgottesdienst und auch andere Gottesdienstformen zu fördern.
blick in die kirche: Was sind andere Gottesdienste?
Stephan Goldschmidt: Solche, die vom agendarischen Ablauf abweichen. Das können Abendgottesdienste, meditative Gottesdienste, kreative Formen sein. Sie sind eine Ergänzung – natürlich nicht auf Kosten der normalen Gottessdienste. Man kann hier mehr experimentieren und andere Akzente setzen. Vor allem werden die Teilnehmer stärker eingebunden.
blick in die kirche: Weshalb ist dafür eine Stiftung notwendig? Die Gestaltungsideen für andere Gottesdienstformen sind doch schon da.
Stephan Goldschmidt: Stimmt, das Rad soll nicht neu erfunden werden. Aber das heißt ja nicht, dass etwas, das sich über Jahrhunderte bewährt hat, nicht trotzdem einer Förderung bedarf. Dies wird besonders deutlich an dem derzeit wichtigsten Standbein der Stiftung: der Arbeitsstelle Gottesdienst, angebunden am Evangelischen Predigerseminar in Hofgeismar.
blick in die kirche: Laut Umfragen bezeichnen sich viele Menschen als religiös. Aber den Gottesdienst besuchen sie nicht. Ein Ansatzpunkt für Sie?
Stephan Goldschmidt: Also ich beobachte, dass die Besucherzahlen nicht schwinden, sondern durchaus steigen. Der Gottesdienstbesuch wird oft schlechtgeredet. Würde man beispielsweise an einem Sonntag die Besucherzahlen in Kassel hochrechnen, wäre das Ergebnis mit einem Riesen-Event zu vergleichen. Ich persönlich mache gute Erfahrungen mit einem anderen Gottesdienst und registriere seit gut zwei Jahren kontinuierlich steigende Besucherzahlen. Am ersten Sonntag im Monat feiern wir in der Apostelkapelle einen „meditativen Abend-gottesdienst“. Inzwischen kommen rund siebzig Menschen.
blick in die kirche: Ist der Sonntag heute nicht zu vollgestopft: alles nachholen, was in der Woche liegengeblieben ist und dann noch in die Kirche?
Stephan Goldschmidt: Gerade für Familien ist es durchaus schwer, am Sonntag alles unter einen Hut zu bekommen. Ausgedehnt zu frühstücken, ist oft sehr wichtig.
blick in die kirche: Dann kann man den Sonntagmorgen um 10 Uhr als Termin für den Gottesdienst ja gleich abschreiben, oder?
Stephan Goldschmidt: Nein, natürlich nicht, auch nicht mit Blick auf die Familien. Es gibt um diese Uhrzeit schließlich auch Familiengottesdienste, die sehr, sehr wichtig sind, und da ist auch die morgendliche Uhrzeit richtig gut.
blick in die kirche: Gibt’s ein Patentrezept für ansprechende Gottesdienste?
Stephan Goldschmidt: Jeder hat sein Rezept, eine Sprache zu finden, sowohl in den Gebeten wie auch in der Predigt, die allen gerecht wird. Ich persönlich arbeite gern mit Bildern und Symbolen. Damit kann jeder etwas anfangen, und sie leiten durch den Gottesdienst.
blick in die kirche: Ist daran gedacht, seitens der Arbeitsstelle ein Netzwerk der guten Ideen einzurichten?
Stephan Goldschmidt: Christiane Berthold-Scholz wird Gottesdienste besuchen, diejenigen beraten, die den Gottesdienst gestalten, und die guten Ideen vernetzen. Das werden nicht nur Pfarrerinnen und Pfarrer, sondern das kann auch ein ganzes Gottesdienst-Team sein. Gerade bei neueren Formen, die noch nicht so erprobt sind, ist der Beratungsbedarf hoch.
blick in die kirche: Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die Vorbehalte gegen diese anderen Formen haben?
Stephan Goldschmidt: Ich denke, das Problem ist eher die zusätzliche Belastung und dass man es zeitlich nicht schafft, andere Gottesdienste vorzubereiten. Im Übrigen geht es nicht um das Ausspielen des normalen Gottesdienstes gegen die anderen. Es geht darum, Menschen für den Gottesdienst an sich zu begeistern. Wer in jungen Jahren nur an der Thomasmesse interessiert ist, geht zehn Jahre später vielleicht liebend gern in den Sonntagmorgen-Gottesdienst.
blick in die kirche: Was ist Ihre Vision für die Stiftung, sagen wir, für die nächsten zehn Jahre?
Stephan Goldschmidt: Ich stelle mir vor, dass die Stiftung oder die Arbeitsstelle Entwürfe von sehr interessanten Gottesdiensten und damit praktikable Anregungen zur Verfügung stellt – im Internet oder in Publikationen. Ganz konkret wollen wir ab 2009 einen Gottesdienst-Preis vergeben. Damit wollen wir anregen, Gottesdienste auf sehr kreative Weise zu gestalten. Bei all dem ist wichtig: Die Stiftung ist nicht das einzige Instrument zur Förderung des Gottesdienstes und möchte deshalb mit anderen Einrichtungen vernetzt werden.